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Mauern - wen sie trennen, wem sie nützen 

Es gibt sie, die Mauern in Europa. Zwischen Nordirland und Irland, zwischen Griechenland und der Türkei; von Spanien auf der nordafrikanischen Halbinsel unterhalten, von Ungarn jüngst in Planung gegeben. Viktor Orbán gilt deshalb bei vielen Politikern als schlechter Europäer.

 Anlässlich des 25. Jahrestages der Unterzeichnung des deutsch-ungarischen Freundschaftsvertrags hielt der Botschafter Dr. Péter Györkös am 15. Februar 2017 in der ungarischen Botschaft eine lobende Rede auf die Europäische Union. Darin hob er die Erfolge der deutsch-ungarischen Beziehungen seit dem Fall der Berliner Mauer hervor und lobte die enge Zusammenarbeit beider Länder. Zusätzlich betonte er die wirtschaftlichen Vorzüge des Schengener Abkommens, wodurch über 6000 deutsche Unternehmen in Ungarn tätig seien und der Warenverkehr zwischen beiden Ländern einen Wert von fast 50 Milliarden Euro betragen würde.

 Im Hauptteil seiner Rede kritisierte er mangelndes Verständnis, das beide Länder derzeit im Umgang mit der Flüchtlingskrise aufbringen. Die Deutschen, auf der einen Seite, würden die Ungarn als unsolidarisch bei der Verteilung von Flüchtlingen bezeichnen und Ungarn vorwerfen, undankbar zu sein, dass Deutschland die meisten Flüchtlinge bei sich aufgenommen hat. Auf der anderen Seite sähe Ungarn sich erneut in der Rolle, „Europa gerettet“ zu haben. Er betonte dabei, dass sich Ungarn mit der Errichtung einer Mauer zur Außengrenze nach Serbien an europäisches Recht halte.

Es gibt sie, die Mauern in Europa.

Seit 1985 bestehen Pläne für die Errichtung einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik zum Schutz der Grenzen. Wie der Internetseite des europäischen Parlaments zu entnehmen ist, liegt der Schutz der Außengrenzen in der Verantwortung der einzelnen Staaten. Dabei werden sie durch verschiedene „Säulen“, die die EU zur Verfügung stellt, unterstützt. Diese reichen von Datenerfassungssystemen wie dem SIS (Schengener Informationssystem) über Programme der Grenzsicherung wie Triton bis hin zur Entsendung militärischen Personals.

  Der Fonds für Innere Sicherheit (Internal Security Fonds) gilt als zweitwichtigste Säule und stellt für den Zeitraum von 2014-20 eine Summe von 1,9 Milliarden Euro zur Verfügung, die der „gemeinsamen Politik des Grenzschutzes an den Außengrenzen der Europäischen Union“ dient. Eine Anfrage bei den zuständigen Behörden über Höhe und Umfang der Beteiligung der EU am ungarischen Grenzschutz wurde mir noch nicht beantwortet. Der ISF gibt jedoch Grund zur Annahme, dass die Mitgliedstaaten an den ungarischen Grenzanlagen finanziell beteiligt sind.

  Friede also, in Europa? Zumindest wurden die nötigen Instrumente eingerichtet, um auch in Sachen Grenzpolitik auf dem Papier eine gemeinsame Linie zu vertreten. Doch wenngleich der wirtschaftliche Erfolg auf dem Papier zu lesen ist und in politischen Reden gelobt wird, gibt es politische Diskrepanzen zwischen den Mitgliedsstaaten bei der Handhabung des ungarischen Grenzschutzes. Kann also ein politischer Nutzen aus dem Mauerbau gezogen werden?

"UNGARN BETRACHTET SICH NUR STARK, WENN ES SICH AUF SICH SELBST VERLÄSST."

 

Klaus Rettel, Präsident der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft e.V.

"Die Mauerpolitik ist Orbáns Reklametafel"

Der ungarische Politiker Balázs Bárány ist seit 2011 Kongressdelegierter der MSZP, Ungarn größter Oppositionspartei. Die Außenpolitik von Viktor Orbán ist in seinen Augen nutzlos. Der größte Profiteur von Mauern und Zäunen sei Viktor Orbán selbst.

Balázs, Ungarns Justizminister Laszlo Trocsany hat neulich betont, dass wir in Europa wieder Mauern zwischen den Mitgliedsstaaten sehen werden, wenn wir das Thema Sicherheit nicht in den Griff bekommen. Wie glaubst du kommt er darauf?

Das kann ich nicht beurteilen, weil ich zum Glück nicht weiß, was in seinem Kopf herumgeistert. Es ist jedenfalls ein dummer Satz. 

Und doch gab es Anschläge in Europa, die mit der freizügigen Flüchtlingspolitik in Verbindung stehen...

Das stimmt. Und es ist auch richtig, sich ernsthafte Gedanken über eine gemeinsame europäische Außenpolitik zu machen, um die externen Grenzen zu schützen. Wenn wir das nicht schaffen, wird es tatsächlich schwer, die Innengrenzen offen zu halten.

Also geht Orbán doch in die richtige Richtung?

Nein. Der freie Binnenmarkt, den das Schengener Abkommen sichert; die Tatsache, dass ich ohne Passkontrolle nach Berlin fliegen kann, ist der wichtigste Baustein der ganzen EU. Wegen solchen Sätzen habe ich nicht den Eindruck, dass Orbáns Regierung das wertschätzt. Es ist nicht gewöhnlich für Europäer, Mauern zu bauen.

Und doch stehen sie in Melilla, in Irland an der nordirischen Grenze, selbst in Berlin.

Ich glaube, es ist schwer, verschiedene

 

Mauern außerhalb ihres Kontexts zu betrachten, wenn wir über den Nutzen von Mauern sprechen wollen. Die Berliner Mauer diente einem bestimmten Zweck: Sie war ein Gefängnis für DDR-Bürger, Menschen wurden erschossen, Familien getrennt. Sie hatte einen direkten Effekt auf die Bürger des Landes, das sie umschloss. In Ungarn ist das anders. Die Menschen hier profitieren weder von der Mauer, noch leiden sie darunter. Sie sind nicht betroffen. Der einzige Grund, warum es diese übertriebene Grenzpolitik gibt, ist Orbans Ziel, Präsident zu bleiben.

Du meinst, weil er ohne Mauer nicht Präsident bleiben kann? 

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zu berichten, der "islamisches Fehlverhalten" in der Welt zeigt. Vor allem die Rechtsextremen bedienen dann den historischen Patriotismus, dass Ungarn, wie damals schon zu Zeiten des Osmanischen Reichs,  seine Pflicht erfüllt und das christliche Abendland vor den muslimischen Herden beschützt. Doch dabei bleibt kaum ein Flüchtling in Ungarn, es gibt tatsächlich fast keine Muslime hier. Eine wahnwitzige Rhetorik. Und das Ergbenis davon sehen wir an den Außengrenzen. Assothalom zum Beispiel ist eine Stadt an der serbischen Grenze. Der rechtsextreme Bürgermeister hat dort ein neues Gesetz verabschiedet, das es verbietet, Moscheen zu bauen. Aber nochmal: Es gibt dort keinen Menschen, der eine Moschee bauen will.

Dafür sorgt ja unter anderem eine Bürgerwehr...

Ja, die Bürgerwehr, das Militär, europäische Grenzpolizei. Das musst du dir vorstellen wie in einem Labor. Es werden neue politische Instrumente und Werkzeuge ausprobiert. Ich würde sogar sagen, für die Bürgerwehr ist das in etwa so wie ein Spiel.

Würde Ungarn wegen abweichender Vorstellungen in der Handhabung der Flüchtlingskrise seine Mitgliedschaft in der EU aufs Spiel setzen?

Das glaube ich nicht. Auch wenn ich glaube, dass Orbáns Grenzpolitik nur symbolischen Wert hat und ihm zu politischer Popularität verhilft. Sie löst vor allem nicht das Problem, mit dem wir uns in Ungarn und in ganz Europa auseinanersetzen müssen. Es werden mehr Menschen aus kriegsgebeutelten Nationen kommen. Und wenn ein fester Zaun Orbán zum nächsten Wahlerfolg 2018 hilft, müssen wir auch dann die Ungarn davon überzeugen, dass diese Politik zu nichts führt. 

Das Interview wurde telefonisch durchgeführt.

Absolut. Die Grenzpolitik ist seine Reklametafel für die Wahl, ein Symbol, das aufgeblähte Rhetorik zulässt. Er kann damit das Bild einer realen Gefahr am Leben halten.

...die von den Flüchtlingen ausgeht.

Die Ungarn haben keine Erfahrung mit Ausländern. Meine Großmutter, zum Beispiel, hat nie jemanden zu Gesicht bekommen, der nicht weiß und christlich erzogen war. Und das geht vielen osteuropäischen Ländern so. Der durchschnittliche Ungar hat Angst vor dem, was von außen kommt. Orbán bedient diese Angst, vor allem weil die großen regierungsnahen Fernsehsender jeden Tag fünf oder sechs Minuten darauf verwenden, von irgendeinem willkürlichen Fall

© Balázs Bárány von der ungarischen Oppositionspartei MSZP 

Eine europäische Mauer?

Die Grenzbefestigungen im Süden Europas und den USA sind Zeitmonumente mit symbolischer Tragkraft. Stand die Berliner Mauer noch als Sinnbild für den Eisernen Vorhang zwischen Ost und West, bezeugen die modernen Abschottungsversuche eine Zuspitzung des globalen Nord-Süd-Konflikts. Westliche Gesellschaften sehen sich mit Menschen konfrontiert, die Bürgerkriegen, Hungersnöten und wirtschaftlichen Miseren der südlichen Kontinente entfliehen.

 

Das ist das größere Bild. Die Fälle Orbán und Trump im Einzelnen zeigen, dass sich durch den Bau einer Mauer vor allem politische Vorteile ziehen lassen. Sie zeigen aber auch, dass die Abschottung auf transnationaler Ebene gefördert wird, und dass es Mehrheiten in der Bevölkerung gibt. In den USA kommt eine weitere Komponente zum Tragen. Die große Volkskrankheit der Nation heißt Einsamkeit, und der einfachste Weg, sie zu überwinden, nationales Kollektivieren. Trump hat diese Tatsache – aus politischem Kalkül oder rein zufällig – in seinem Wahlkampf erfolgreich aufgegriffen und kam zu folgendem Resultat: The forgotten men and women of our country will be forgotten no longer. Die Mauer, die ja in Teilen schon steht, ist physische, sichtbare Einigkeit, ein Resultat völkischer Rhetorik wie aus dem Lehrbuch des 20. Jahrhunderts. Die Zeit ist gekommen, als vereintes Volk zueinander zu finden. It is time for us to come together as one united people (aus: Inaugural Speech, Donald Trump. Anm. d. Red.). Sie befriedigt den Wunsch nach Zugehörigkeit und Plausibilität in einer komplexen Welt. Oder anders formuliert: Sie ist das Resultat eines emotionalen Mangels, der nicht dort entsteht, wo die Mauer steht. Auch wenn man in der Wüste von Texas einsam sein kann.

 

Für die meisten Amerikaner bleibt Trump ein unerreichbares Medienphänomen. Sie erleben ihn entweder im Fernseher oder auf Twitter. Das ist die Mauer, die Trump immer von seiner Bevölkerung trennen wird; die abstrakter und realer nicht sein könnte, die das Amt, das er ausführt, mit sich bringt, die er eigenhändig erschafft, durch banale Kommunikation über einen surrealen Kommunikationskanal, durch seinen real existierenden Wohlstand, der 99 Prozent seiner Wählerschaft aussperrt von einer Welt, die er als seine Realität bezeichnet, auf seiner Seite der Mauer. „Das Kaisertum ist unsterblich“, schrieb Franz Kafka, „aber der einzelne Kaiser fällt und stürzt ab, selbst ganze Dynastien sinken endlich nieder und veratmen durch ein einziges Röcheln.“ Wie lange werden unsere Mauern halten?

Eine rückwärtsgewandte Utopie

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

 

mein Name ist Sebastian Blum. Ich bin 25 Jahre alt und möchte aus politischer Überzeugung und wegen meiner Leidenschaft für gut recherchierte Produktionen Journalist der Deutschen Welle werden. Leider standen mir für die Anfertigung dieser Bewerbung weder die nötige Zeit, noch die technischen Mittel zur Verfügung. Ich arbeite 45 Stunden die Woche beim Alexander Verlag hier in Berlin und lektoriere nebenbei noch eine Übersetzung. Für diese Bewerbung habe ich alle Hebel getätigt, die mir in der kurzen Zeit zur Verfügung standen. Ich hätte das Thema gerne auf die Bedeutung der Berliner Mauer ausgeweitet und in Kontrast gestellt, da sie als historisches Mahnmal doch vor allem Künstlern, Musikern, Souvenirshops und Touristen zunutze kommt und - ganz ähnlich der Chinesischen Mauer - Menschen eher vereint, anstatt sie voneinander zu trennen. 

Jedenfalls danke ich Ihnen für die Chance, ein spannendes Projekt bearbeiten zu können und wünsche Ihnen ein spannendes Auswahlverfahren!

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Sebastian Blum

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